Landidylle
Mein Name ist Juliane Buttler, ich bin 24 Jahre alt und lebe in Münster. Aufgewachsen bin ich in Ostwestfalen, irgendwo zwischen Kuhweiden und Maisfeldern. Somit war mein Bild von Landwirtschaft stets sehr positiv geprägt, wohl auch durch die Bekanntschaft mit vielen Landwirten aus dem Ort.
Abendessen
Als Kind aß ich viel und gerne Fleisch. Gedanken machte ich mir keine – etwa wo dieses Fleisch herkam. Als mein Vater dann eines Tages ein Schlachtkaninchen mit nach Hause brachte und zubereitete, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass das Fleisch auf meinem Teller ein Tier gewesen war. Und so saß meine gesamte Familie am Küchentisch, starrte auf ihre Teller und niemand bekam auch nur einen Bissen herunter. Schließlich hatte ich Tiere bisher nur als Haustiere und Freunde oder friedlich auf der Weide gesehen, ohne diese Art der „Funktion“ von Tieren überhaupt im Blick zu haben. Es war ein einschneidendes Erlebnis. Tiere als Lebensmittel anzusehen, widerstrebte mir.
Gewohnheitstier
Das Kaninchen blieb in meinem Kopf. Doch ich aß weiter Fleisch. Und befand mich damit in guter Gesellschaft mit unzähligen Menschen, die das tägliche Fleisch allein schon deshalb wie selbstverständlich auf ihrem Teller haben – morgens Wurst, mittags Nudeln mit Bolognese, abends ein Filet – da es überall als normal angesehen wird: Unser alltägliches Essen besteht aus einem Großteil aus Fleisch. Ein Blick in die Karte eines durchschnittlichen gutbürgerlichen Restaurants legt beredtes Zeugnis ab.
Dann, als ich ca. 15 Jahre alt war, zerplatzte das Bauernhof-Idyll mit den glücklichen Tieren, das sich nach meinem Abendessen mit dem Kaninchen wieder in meinem Kopf breit gemacht hatte, komplett.
Revolutionsglaube
Eine Schulfreundin hatte mir ein Video geschickt, das PETA aufgenommen hatte. Darin zu sehen waren Szenen und Bilder von Höfen und Schlachtereien. Es war derart einschneidend: Solches Leid erfuhren also jene Tiere, die später bei mir auf dem Teller landeten? Ich beschloss, mich von diesem Tag an vegetarisch zu ernähren. Tiere essen ging nicht mehr.
Meine Eltern taten dies als pubertäre Spinnerei ab, meine ältere Schwester neckte mich in einer Tour und auch mein Freundes- und Bekanntenkreis nahm die ganze Sache nicht wirklich ernst. Dies mag auch daran gelegen haben, dass ich – wie nicht wenige, die diesen wichtigen Entschluss fassen – versuchte, mein soziales Umfeld immer wieder zu „bekehren“. Tiere essen? Das ging doch auch für alle anderen nicht mehr!
Voller Revolutionsglaube informierte ich mich über das Leben als Vegetarier, Und stieß dann doch schnell an meine Grenzen. Ich fragte mich: Genügte es wirklich, nur auf Fleisch zu verzichten? War es in Ordnung, Lederschuhe zu tragen? Biete ich meinen Haustieren ein bestmögliches Leben? Wäre eine Ernährung ganz ohne tierische Produkte ethisch nicht vertretbarer für mich?
Veränderungswille
Lange Zeit quälten mich diese Fragen regelrecht, da ich keine zufriedenstellende Antwort für mich fand. Der Verzicht auf Fleisch fiel mir nie wirklich schwer (Ausnahme: die Kohlrouladen von meiner Oma vermisse ich), Leder trage ich aus Gründen der Nachhaltigkeit bis heute.
Doch meine Einstellung wandelte sich im Laufe der Jahre. Ich kann heute besser tolerieren, dass meine Mitmenschen eine andere Einstellung und Meinung haben als ich und auch Fleisch essen. Mit dem Wandel meiner Einstellung gesellten sich Fragen dazu: Geht es vielleicht gar nicht um Fleisch „ja“ oder „nein“? Sondern eher um die „Herstellung“ des Lebensmittels Tier? Das Kaninchen konnte ich noch tolerieren; die Bilder von den Höfen und Schlachthöfen nicht mehr. Ich mag es bis heute nicht, dass Tiere zur Lebensmittelgewinnung getötet werden. Aber ich bin realistischer geworden.
Viele der mir bekannten Landwirte leiden unter der aktuellen Situation. Sie sehen sich in einem Spannungsfeld zwischen Tierwohl und Preiswettbewerb. Es geht nicht selten um deren nackte Existenz. Für viele würde der Umstieg vom konventionellen zum Bio-Betrieb den finanziellen Ruin bedeuten:
„Ich würde meinen Kühen gerne mehr Fläche und Weide bieten. Das kann ich mir aber nicht leisten. Wenn ich weniger Kühe als bisher halte, muss ich den Hof aufgeben. Es rechnet sich einfach nicht mehr Landwirt zu sein“
Solche und ähnliche Aussagen höre ich immer wieder. Doch was kann getan werden, um beide Parteien – Verbraucher und Landwirte – zusammenzubringen? Wie kann der Eine den Anderen besser verstehen lernen?
Tatkraft
Es macht keinen Sinn, den Menschen ihr Fleisch schlechtzureden oder ihnen den Konsum gar zu verbieten. Dies vergrößert nur die Fronten, bis kein Gespräch mehr untereinander möglich ist.
Viel wichtiger ist mir daher die Diskussion um artgerechte Tierhaltung und Schlachtung geworden. Wer Fleisch isst, sollte meiner Meinung nach auf die Herkunft achten. Dies wird den Verbrauchern im 0815-Supermarkt aber weiterhin schwer gemacht. Tierische Produkte sind bislang nur in wenigen Fällen ausreichend deklariert, es fehlen transparente Informationen – die jedermann verstehen und nachvollziehen kann – zu Aufzucht, Haltung und auch Schlachtung des Tieres.
Anstelle eines erhobenen Zeigefingers liegen mir positive und konstruktive Beispiele am Herzen, die uns in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung voranbringen. Es klingt banal, aber es bleibt Tatsache, dass jeder einzelne durch seine tägliche Kaufentscheidungen dazu beitragen kann, was um uns herum geschieht und entschieden wird. Auch im wohlwollenden Gespräch mit meinen Mitmenschen kann ich mehr beeinflussen, als durch Verbote oder gar Beschimpfungen. Die Situation ist zu komplex, als dass die einegroße Lösung wirklich realistisch wäre. Wir brauchen viele Lösungswege, individuelle Lösungswege. Und wir benötigen eine wachsende Anzahl von Menschen, die sich täglich darüber bewusstwerden, was sie tatsächlich durch ihr eigenes Handeln bewirken können. Kurz: Ich möchte auf meine Weise dabei helfen, die Situation für Verbraucher, Landwirte und vor allem für die Tiere zu verbessern.