„Aktivstall für Schweine“:
Zum aktiven Umdenken eingeladen
Sarah und ich fahren an einem regnerischen Novembernachmittag nach Melle, zum „Aktivstall für Schweine“. In hygienische Stallmäntelchen umhüllt, stehen wir in Deutschlands erstem Stall dieser Art. Zusammen mit seiner Erfinderin, Gabriele Mörixmann.
Die 46-jährige studierte Vollblut-Landwirtin ist so etwas wie eine Kupplerin. Sie verbindet Welten miteinander, die heute vielfach auseinander gedacht werden: Konventionelle Haltung und Bio-Haltung von Nutztieren. Aus beiden Bereichen hat sie sich die Rosinen herausgepickt, die Tierwohl und Rentabilität unter einen Hut bringen sollen.
Als wir mit Gabi da so stehen, ist unser erster Eindruck: Wow! Hat diese Frau ein Fachwissen! Es sprudelt aus ihr nur so heraus, als sie uns den Demonstrationsbetrieb des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung in all seinen Details erklärt. Der Stall umfasst 700 Mastschweine, davon 700 Aufzuchtferkel. Massentierhaltung?
Gewiss: Massentierhaltung
Doch leben die Tiere hier sowohl auf Stroh („Bio“) als auch auf Spaltenböden („Konventionell“). Schweine haben keine Drüsen, die ihnen bei der Regulation ihres Wärmehaushalts behilflich sind. Sie brauchen kühlen Untergrund im Sommer. Duschen gibt es zusätzlich.
Die Tiere bewegen sich frei in einer großen Wühlhalle mit Stroh und Strohaufbauten, die jede Woche anders gestaltet werden. Oder wechseln in die große Fresshalle, in den Bereich mit Tränkebar oder schlummern im großzügigen Rückzugsbereich. Abgerundet wird der Aktivstall durch ein Bällebad mit Wühlecke, Heuraufen sowie Frischluftterrassen. Massentierhaltung mit massig Bewegungsfreiheit sozusagen.
Im Bälleparadies
Dieses „Best of both worlds-Konzept“ bietet landwirtschaftlichen Schweinemastbetrieben eine realistische Alternative für spürbar mehr Tierwohl. Das Wörtchen „aktiv“ hat dabei seine volle Daseinsberechtigung und drückt sich um uns herum auf allen Sinnen aus:
Entzückt beobachten wir Schweine, die sich mit Stroh im Maul zufrieden immer tiefer in die saubere Strohschicht wühlen; Schweine, die in einer Irrsinnsgeschwindkeit herum galoppieren, miteinander spielen oder mit Vergnügen schlafende Kumpels wecken, die so nachlässig waren, sich nicht in den Ruhebereich zu legen.
Gabi flitzt mit uns nicht minder aktiv über das große Gelände, bei dem wir im Leben kaum gedacht hätten, dass hier 700 Schweine untergebracht sind. Raus können die Schweine auch, ganz Bio eben. Wollen die aber nicht, zumindest heute nicht, an diesem üsseligen Schietwetter. Gerade mal drei Schweine stecken ihren Rüssel nach draußen, um sich dann flugs in die Strohhalle zurückzuziehen.
„Aktivstall für Schweine bedeutet nicht nur mehr Tierwohl, er bedeutet vor allem: mehr Transparenz!“
Der Aktivstall hat Bio-Anteile, konventionelle Anteile und: ganz viele Ideen made by Gabi. Vor 12 Jahren begann sie damit, ihren damals noch konventionellen Schweinestall umzurüsten. Mit der possierlichen Namensgebung wie Freiluftterasse, Bällebad oder dem wöchentlichen Neubau von Strohburgen und Labyrinthen will Gabi nichts verniedlichen. Gabi liebt ihre Tiere. Sie will, dass es ihnen gut geht. Sie arbeitet sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr im Stall.
Dieser Arbeitseifer liegt im Blut der Familie Mörixmann. Gabis ganze Familie ist mit Leib und Seele „Landwirtschaft“: Ihre Eltern haben den Hof, auf dem heute der Demonstrationsbetrieb „Aktivstall für Schweine“ steht, in der Nachkriegszeit aufgebaut. Nichts Erbe! Hier war Handarbeit und vom Munde absparen gefragt. Mama, Papa und Schwester sind ohne die Arbeit im Stall und auf dem Feld kaum denkbar.
„Papa, lass uns Löcher in die Wand hauen, dann können die Schweine raus!“
Wie auch Gabi. Schon als Kind wollte sie die Schweine von ihrem Vater anders halten: „Können wir nicht mal Löcher in die Wand hauen, dass die weiterlaufen oder nach draußen gehen können?!“ Doch damals war es nicht drin: „Das kostet zu viel Geld, das zahlt keiner!“ so die Antwort des Papas.
Heute ist das anders.
Starke (Frauen-) Stimmen für gelebtes Tierwohl
„Wir brauchen Konzepte, die Tierwohl und smarte Vermarktung unter einem Dach vereinen!“
Ohren und Augen hat die Mutter von zwei Jungs immer auf. So auch vor einigen Jahren, als Gabi abends mit ihrem Mann, der sich im Mörixmann‘schen Betrieb um Ackerbau, Biogas und Hühner kümmert, vor dem Fernseher sitzt und „hart aber fair“ schaut.
Plötzlich wurden die Ohren gespitzt: Da sitzt Sarah Dehm und diskutiert in der Runde mit. Die gelernte Fleischermeisterin leitet das Familienunternehmen Schulte – Lastruper Wurstwaren und gründete mit ihrem Mann Mirko „Kalieber“, einen modernen Online Shop für Fleisch und Fleischprodukte. Was Gabi so fesselte?
Nun, da saß eine Frau im TV, die ähnliche Ansichten vertrat: „Wir brauchen Konzepte, die Tierwohl und smarte Vermarktung unter einem Dach vereinen!“ Eine E-Mail später lernten sich die beiden Frauen kennen und sind seitdem freundschaftliche wie geschäftlich miteinander verbunden:
Unter der Marke „Glücksatt“ wurde ein komplettes System auf die Beine gestellt, dass die Produktion (Aktivstall für Schweine), Schlachtung (Brand Qualitätsfleisch) und Verarbeitung (Lastruper Wurstwaren) in eine transparente Hand legt.
Aktivstall-Schweine gibt es im Lebensmitteleinzelhandel
Wenn Du also an die Ladentheke z. B. von EDEKA Dütmann im Raum Osnabrück gehst, und ein Schweineschinken kaufen möchtest, wirst Du dieses hübsche Zeichen dort finden:
Und ohne Marketing-Wohlfühlworthülsen wirst Du in den Genuss kommen, dass die Verkäuferin Dir Schritt für Schritt über die Theke hinweg erzählt:
- Auf welchem Betrieb das Schwein gelebt und wie es dort im Aktivstall gewohnt hat
- Unter welchen Bedingungen es aufgezogen wurde, so z. B. dass ihm nicht, wie sonst üblich, sein Ringelschwanz abgeknpist und unter Vollnarkose kastriert wurde
- Dass es auf dem über kurze Wege (ca. 20 Minuten) zu erreichenden Betrieb von Brand Qualitätsfleisch geschlachtet wurde, auf dem nur Festangestellte über dem tariflichen Mindestlohn arbeiten.
- Und dass das Fleisch dann bei den Lastruper Wurstwaren nach dem„Nose-to-Tail-Prinzip“ verarbeitet wurde; natürlich auch von festangestellten Fachkräfte.
„Neben Tierwohl darf das Menschenwohl bei der Auswahl deiner Partner nicht zu kurz kommen.“ So das Motto der hinter der Marke „Glücksatt“ stehenden Betriebe.
Für denjenigen, der neben Büchern, Elektronik und Kleidung sein Fleisch online bestellen möchte, steht der Online Shop „Kalieber“ von Sarah und Mirko Dehm 24/7 offen (wir berichteten hier über die Beiden). Und wer in der Bullerei von Tim Mälzer in Hamburg sich verwöhnen lässt, der findet das Schweinefleisch von Gabi mittlerweile auch hier:
Wie es weiter geht: „Mit dem LEH, nicht gegen ihn!“
„Wir bieten dem Handel das, was der Verbraucher sich schon lange wünscht: Ehrlich besser produziertes Fleisch.“
Gabi etablierte eine Schweinehaltung, die den Spagat zwischen Tierwohl, Transparenz und Umweltschutz sowie einem wirtschaftlichen Betrieb bis in die Ladentheke schafft. Der Preis liegt etwa 40 % über dem normalen Preis.
Und fesselt mit Leidenschaft und Geschäftssinn den Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Diese Errungenschaft mag manchen nicht sofort als Heldentat auffallen. Tatsächlich ist es aber beeindruckend, wie Gabi einzelne Filialleiter auf ihre Seite gebracht hat. Denn die Geschäftsfrau sieht eine Riesenchance für die tiergerechtere Landwirtschaft, wenn diese klug mit dem LEH zusammenarbeitet. Gleichzeitig eröffnen sich für den LEH weitreichende Möglichkeiten, VerbraucherInnen endlich das zu bieten, was dieser doch haben möchte: Ehrlich besser produziertes Fleisch.
„Nur du kannst mir dabei helfen, dass ich den Tieren dieses Leben bieten kann!“
Gabi bietet immer mehr als Standard. So zum Beispiel Schulungen für Verkäuferinnen. Was trocken klingt, stellt das Herzstück für ihr erfolgreiches Vertriebskonzept dar: „Du, wenn ich vor den Damen stehe, dann sag ich denen: Ihr seid das Wichtigste! Wenn Ihr den Kunden nicht sagen könnt, wofür wir uns hier alle einsetzen, dann werde ich die Tiere bald nicht mehr so halten können, wie ich es heute mache!“
Das wirkt bei den Damen! Diese setzen sich ein, für Gabi, für das Konzept, für mehr Tierwohl, für die Transparenz beim Verbraucher.
Und dies erlauben wir uns mal direkt zu sagen: Für welchen Filialleiter und welche Handelskette wäre dies kein Traum? Dagegen stinkt jedes überbezahlte Vertriebs-Coachings von Wirtschaftsberatungen ab. Sorry für die klaren Worte an dieser Stelle.
„Ich kann dem Kunden seine Entscheidung nicht abnehmen. Aber ich kann ihm ehrlich sagen, welche Möglichkeiten er beim Einkauf von Fleisch hat!“
„Hallo Frau Mörixmann, wir haben endlich mal wieder mit Genuss und Wertschätzung ein Schwein gegessen!“
So und ähnlich lauten Feedbacks, die fast täglich bei Gabi auf dem E-Mail-Server landen. Mit einem strahlenden Gesicht berichtet uns die Landwirtin von der Veränderung, die bei VerbraucherInnen vonstatten geht. Und dann verändert sich ihre Mimik:
„Wisst Ihr, mir tut der Kunde leid! Der geht in den Supermarkt und überall steht da drauf Tierwohl! Natur! Qualität! Der weiss doch gar nicht mehr, was der glauben soll! Und dann dies: Stufe eins, Stufe zwei, Stufe drei.. wer weiss denn schon, was dahintersteckt?!“ Wir fragen nach der Lösung. Gabi schmettert los: „Na, da muss der LEH aufklären, der muss da ehrlich kommunizieren!“
Die andere Seite sieht Gabi ebenso in der Pflicht: „Ich höre immer: Die Tierhaltung ist so grausam! Und dann dreht sich der Mensch um greift ins Regal und holt sich ein Billigwürstchen da raus.“
Aber Gabi greift nicht an. Sie sagt es in einem motivierenden Tonfall: „Ich kann doch dem Kunden seine Entscheidung, was ihm wichtig ist, nicht abnehmen, aber ich kann ihm ehrlich sagen, welche Konzepte es gibt!“ Nur bei einer Sache findet die engagierte Tierhalterin klare Worte:
„Wenn Dir konventionell nicht gefällt,
dann musst Du tiefer in die Tasche greifen!“
Nein, Beschwerden kann die lebhafte Landwirtin wahrlich nicht mehr hören. Denn: „Wir Landwirte können alles, Nur nicht: den höchsten Tierwohl- und Umweltstandard zum niedrigsten Preis!“
Entzückend dazu ihre Begründung: „Weißt du, wir sind keine Zauberer. Wir sind Landwirte! Das sind zwei unterschiedliche Berufe!“
„Seit 20 Jahren kämpfe ich. Und zusammen werden wir es schaffen!“
Bis in den Abend hinein sitzen Gabi, Sarah und ich zusammen. Wir waren dann irgendwann vom Stall ins Wohnzimmer gewechselt. Gabi besitzt eine engagierte und zugleich realistische Brille auf zukünftige Veränderungsmöglichkeiten. Statt das Rad neu zu erfinden, setzt sie auf die Strategie der kleinen Schritte. Nach unserer Frage, was ein genereller Wunsch mit Blick auf das Verbraucherverhalten wäre, teilt sie uns mit: „Ach, es muss doch möglich sein, dass wenigstens die, die grün wählen, auch grün kaufen. Das wäre ein schönes Ziel.“
Nicht die Hürden zu hoch machen. Das ist wichtig. Konzepte wie die von Gabriele Mörixmann sind im Verhältnis zum bestehenden Markt vielleicht ein kleiner, aber extrem bedeutender Schritt! Denn hier gelangt etwas in die praktische Umsetzung, die von der Geburt eines Tieres bis zum Verkauf des produzierten Fleisches eine Transparenz über das gelebte Tierwohl bieten, dass die „Großen“ viel versprechen, aber nicht in dieser Güte und gelebten Menschlichkeit und Ehrlichkeit umsetzen können.
Die Szene, die hier derzeit entsteht, wird es schaffen. Und wir wünschen uns von Herzen, sie dabei zu begleiten und immer mehr VerbraucherInnen zu beobachten, bei denen der Funke überspringen wird.
Gabi, herzlichen Dank für Deine Gastfreundschaft, Deine Gesellschaft, Deine Worte und Deine Taten! Bis bald!
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Auf der Site www.glücksatt.de findest Du alle Filialen, die Dir die volle Transparenz direkt über die Ladentheke reichen – und da lernst Du auch Verkäuferinnen kennen, die gewiss von ihrer Sache überzeugt sind! Hier gehts direkt zum Filialfinder:
Bitte Mut & Engagement belohnen!
„Ich stelle die ganze Theke auf dich um!“ Das sind die Worte von Annika und Andreas Witte, die seit Januar 2019 nur noch Schweinefleisch aus dem Aktivstall-Konzept von Gabi anbieten. Hier geht’s zur Metzgerei der Beiden.
Ebenfalls engagiert bei der Sache und eine warme Empfehlung: Die Metzgerei von Axel Neumann aus Varel.
Aktive Schweine live sehen!
Eigentlich solltet Ihr Stall und Schweine selbst anschauen – es lohnt sich für alle, die Lust haben auf einen Umgang mit Tieren, der uns zum Nachdenken bringt, aber uns sagt: ja, das ist ein möglicher Weg, damit fühle ich mich einverstanden. Nehmt Kontakt zu Gabi auf:
Gabriele Mörixmann
Aktivstall für Schweine
Dratumer Strasse 9
49326 Melle
T: +49 5409 989 456
F: +49 5409
E: info@aktivstall-fuer-schweine.de
Starke Frau und starker Artikel!
Eines darf dabei aber nicht vergessen werden: ES SCHMECKT AUCH ERHEBLICH BESSER!
Ich hatte jahrelang kein Schweinefleisch mehr gegessen, bis dann vor 10, 12 Jahren die ersten „Gourmetfleischanbieter“ vorsichtige Schritte mit Ibérico auf dem deutschen Markt machten. Über Kalieber bin ich dann irgendwann schließlich beim Aktivstall-Schwein von Gabi Mörixmann gelandet – und muss sagen: Das schmeckt nicht nur mindestens genauso gut wie diverse Edelrassen – es ist auch preisWERT!
Danke Dir sehr! Du bringst es voll auf den Punkt! Besser für die Gesundheit, für den Geschmack, für die Menschen, die hinter der Produktion stehen…. echt toll, wenn immer mehr Menschen erkennen, wie viele Vorteile es hat, hier und da mal die Äuglein aufzumachen und „bewusster“ einzukaufen. Ich glaube, wir werden da noch viel miterleben dürfen, was Dich und uns freuen wird! (-: Liebe Grüße, Deine Weidefunkerin (-: