Eine Gründergeschichte beginnt modisch
Wir stehen vor einer schicken Mode-Boutique namens „Evas“ in einer Fußgängerzone in Arnsberg-Neheim im zauberhaften Sauerland. Nach zehn Minuten kommt uns ein junger Mann freudig winkend entgegengelaufen. Es ist Alex, 38 Jahre jung, und wir sind mit ihm an diesem sonnigen Mittag verabredet, um auf Tour ins tiefe Sauerland zu gehen.
Alexander Schulte ist Inhaber dieser Mode-Boutique und kommt in familiärer Tradition aus der Textilbranche. Doch mit dem Herzen ist der Jungunternehmer seit drei Jahren in einer anderen Mission unterwegs: Er will über den Online Shop „Artgerecht & Glücklich“ Fleisch und Fleischprodukte von alten Nutztierrassen anbieten, die zu 100% artgerecht gehalten worden sind. Der Shop soll Mitte 2020 online gehen.
Bis dahin hat Alex eine ganze Menge zu tun, und vieles davon hat er bereits geschafft. Zum Beispiel, die richtigen Landwirte für seine Mission zu finden. Genau deshalb sind wir mit Alex heute im Sauerland unterwegs. Er möchte uns erzählen was er vorhat, warum er es tut und welche Betriebe „das Herz seiner Firma“ sind.
Macher aus Überzeugung
„Das darf doch nicht so weiter gehen, mit der Massentierhaltung! Ich will das Fleisch anbieten, das wir alle auch vertretbar essen können.“ So die einfache wie überzeugende Begründung, warum sich Alex beruflich nochmal komplett neu orientiert.
Der Mann sprudelt über vor Wissen, wenn es um Tierhaltung, Schlachtung, Fleischprodukte & Co. geht „Alles selbst angeeignet, klar!“ antwortet er auf unsere Frage hin, wo er bitte all das Wissen hernähme. Online ist Alex verdammt gut verdrahtet. Man kennt sich mittlerweile in der „artgerechten Branche“: Foodblogger Thomas Müller alias „Der Fleischbotschafter“, Gabriele Mörixmann vom Aktivstall für Schweine, die digitalen Metzger- und Grillspezialisten Sarah und Mirko Dehm von Kalieber.
Online lernt er auch die Betriebe kennen, die Alex in sein Portfolio mit aufnimmt. Mit zehn landwirtschaftlichen Betrieben arbeitet der Gründer bereits zusammen, um seine Produktliste mit weiteren Spezialitäten zu füllen. Zum Beispiel Fleisch und Fleischprodukte vom Bunten Bentheimer Schwein, dem Freiland Huhn von Sören Spiekermann und seinem Schickermooser Weidehof, bestes Mointainmeat aus Südtirol sowie Highland Cattle aus dem Sauerland.
Und zu letzterem fahren wir an diesem Tag gemeinsam: Alex, Juliane, Sarah und ich.
Tief und immer tiefer hinein ins Sauerland
Während der Fahrt schnacken wir viel. Derzeit vermarktet Alex seine Produkte noch persönlich, sozusagen von Angesicht zu Angesicht: In einem Radius vom Sauerland bis Hessen fährt er mit einem Tiefkühl-Anhänger herum und verkauft an ausgewählte Kund:innen. Echtes People Business eben. Auch in die Gastronomie hat Alex schon seine Fühler ausgestreckt und ein echtes Sterne-Restaurant von seinem Vorhaben überzeugt: Agata’s beliefert der Überzeugungsunternehmer mit artgerecht erzeugtem Fleisch.
Irgendwann verlassen wir die befestigten Straßen und fahren – ganz zum Unwohlsein von Juliane und Sarah auf der Rückbank – steile und kurvige Serpentinen in einer sportlichen Geschwindigkeit hoch. Der Sonnenschein aus dem Tal verwandelt sich in gefühlt fünf Sekunden in einen wilden Platzregen. Alex hatte nicht zu viel versprochen: Wir fahren tief – und hoch – ins Sauerland hinein. Auf knapp 700 Meter über NN erreichen wir dann unser Ziel: Den Naturhof Jochen Born.
Eine Pädagogin und ein Wisent-Ranger setzen ihre Leidenschaft in ein vielseitiges Hofkonzept um
Als wir aussteigen, sehen wir erst einmal… Ponys und Kinder. Eine zierliche und fröhlich lächelnde Frau steht in einer bunten Kinderschar. Wir müssen uns zugegebenermaßen erst einmal ordnen: Was ist hier los?
Die lächelnde Dame ist ausgebildete Bauernhof-Pädagogin und heißt Heike Born. Zusammen mit ihrem Mann Jochen leitet sie den Hof. Der Naturhof bietet Kindern die seltene Möglichkeit, echtes landwirtschaftliches Leben kennenzulernen. Bauernpädagogik nennt man das kindgerechte Heranführen der Kleinsten an die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Lebensmitteln. Gerade im Hinblick auf die Erziehung als „schwierig“ eingestufte Kinder, so erzählt uns Heike, blühen hier bei den Tieren auf und immer wichtiger: sie lernen hier auch mal runterzufahren.
Noch ehe ich mich versehe, sitzt Juliane mit zahlreichen Zwerghühnern bepackt im Stroh, Sarah ist voller Entzücken zu den Schweinen gerast, die weiter hinten auf dem Hof in großen Gehegen lautstark suhlen und grunzen, und ich suche Alex. Wo ist Alex?
Ah, dieser hat es sich an einem Lagerfeuer gemütlich gemacht. Neben ihm steht ein Hüne von Mann. Es ist Jochen. Ich gehe hin und stelle „uns“ vor (naja, Zweidrittel des Weidefunks hat sich ja begeistert zu Kindern und Tieren verabschiedet (-: ). Bei einem Gespräch mit Jochen merke ich, warum Alex im Auto so von diesem Mann geschwärmt hat: Der ehemalige Wisent-Ranger ist, genauso wie seine Frau, ein Original in Sachen „Ich mache das mit Leidenschaft oder gar nicht!“ Es begann damals mit knapp 20 Tieren, mittlerweile beherbergen sie gut 60 Tiere hier.
Erst langsam verstehen wir, was dieser Hof in den vergangenen drei Jahren seit seiner Gründung alles in die Tat umgesetzt hat: Die Borns sind Züchter sowie Direktvermarkter von Fleisch. Zu ihren Rassen gehören Bunte Bentheimer Landschweine, Highland Cattle und alte Hühnerrassen wie die Deutschen Sperber, Vorwerkhühner, Lakenfelder Hühner und Lachshühner. Alles Weide- und Freilandhaltung, versteht sich.
Echte Ursprungsgeschichten beginnen mit Herz und Konsequenz
Gemeinsam gehen wir zu den Schweinen. Jochen spricht Klartext: „Jedes Schwein muss jede Jahreszeit mindestens einmal mitgemacht haben!“ Eine gute Anregung für jede (politische) Diskussion zu Standards in der Nutztierhaltung, finden wir. Überhaupt treffen die Borns in dem, was sie sagen, immer wieder den Nagel treffsicher auf den Kopf.
Jochen erzählt uns zum Beispiel eine Anekdote, in der seine Frau gefragt wurde, warum sie kein Schweinefleisch essen würde. Zu dieser Zeit beherbergten die Borns auf ihrem Hof noch keine Borstentiere. Und ihre Antwort war genau diese: „Wir haben keine Schweine auf dem Hof. Also kann ich auch keine essen.“ Juliane, Sarah und ich stehen mittlerweile wieder zusammen und schauen uns an: Wie kann man etwas so Kompliziertes so genial einfach auf den Punkt bringen?
Die Eltern von drei Mädels und zwei Jungen wollen die artgerechte Landwirtschaft voranbringen und setzen dafür viel ein. Mit Alex verbindet sie eine dicke Freundschaft und sie teilen handfeste Prinzipien miteinander: So etwa die konsequente Weidehaltung, der Respekt vor den artgerechten Bedürfnissen der Tiere und möglichst auch keine Transporte. Gemeinsame Wunschvorstellung stellt die Weideschlachtung dar. „Da gehst Du locker auf die Weide, das Tier ahnt nicht, frisst ruhig, steht bei seinen Kumpels – und zack! Ist es vorbei. Das ist doch ein deutlich humanerer Tot als in allen Schlachthäusern!“ So Alex‘ Statement. In Deutschland und der Schweiz kommt diese Art der Tötung immer häufiger ins Gespräch, in Österreich ist es noch ganz verboten. Zahlreiche Gesetze und Regularien machen es aber auch hierzulande nicht einfach, es umzusetzen.
Artgerecht und glücklich auf der Weide stehen. Und hier ggfs. auch sterben. Ja, es stimmt: Wenn als Rind schon sterben, dann echt hier, wo wir im Anschluss gemeinsam hingefahren sind. Zu den Highland Cattles der Borns.
Die Geschichte jeden Tieres kennen und erzählen wollen – ehrlicher geht’s kaum
Wieder: Serpentinen, steil und kurvig. Und Schlaglöcher! Dieses Mal sitze ich auch hinten und verstehe Sarah’s und Julianes Unwohlsein ein bisschen besser. Das Sauerland ist wunderschön, die tiefen Wälder sind kein Vergleich zu den Waldstücken im Münsterland. Oder wie ich immer zu sagen pflege: eine Ansammlung von Bäumen macht noch keinen Wald. Wir fahren durch ein großes Tor und werden angewiesen, nach links unten zu schauen. Da stehen sie: Die stolze Highland Cattle Herde von den Borns!
Wir schälen uns aus Jochens PickUp und bewegen uns storchengleich über den Stromzaun zu den Tieren. Mütter mit ihren Jungtieren, erwachsene Rinder sowie ein stattlicher Bulle fühlen sich auf einem riesigen Areal, umringt von Berg, Wald und Fluss, sichtlich wohl. Jochen nennt zu jedem den Namen. Wir kraulen die Tiere und hören neugierig zu, wie Jochen von fast jedem Tier seine Geschichte erzählen kann. Keines der Tiere ist hier eine Nummer, wie sonst üblich. Das ist auch Alex sehr wichtig. In seinem Online Shop will er später genau das: Nämlich dass jeder seiner Kund:innen weiß, welches Tier hier wofür verarbeitet worden ist. Inklusive Namen und Geschichte des Tieres. Echte Ursprungsgeschichte also.
Es ist später Nachmittag geworden und uns dämmert: Wenn wir unseren Trip nicht langsam beenden, wird Juliane heute bei den Zwerghühnern schlafen. Wir fahren zurück zum Naturhof von Jochen und Heike, packen unser Equipment zusammen und verabschieden uns schweren Herzens von diesem großartigen Betrieb und den Menschen, die das auf die Beine gestellt haben.
Auf der Heimfahrt nach Münster
Wir witzeln herum: „Wenn ich nicht Rinderzüchter geworden wäre, wäre ich wohl heute Model“ das scherzte Jochen als wir oben bei den Highland Cattles waren. Nun ja, die Größe dazu hat er. Doch steht zu bezweifeln an, dass er damit glücklich geworden wäre. Jochen liebt seine Tiere.
Und gibt sie in die Fleischvermarktung. Und genau darüber tauschen wir uns intensiv aus. Was für viele nach grausamem Hohn klingt, stellt mit einigem Nachdenken über die Realität dieser Welt nun einmal eines der ehrlichsten Handlungsprinzipien dar, die wir in diesem Bereich bislang entdecken durften:
Sorge dafür, dass der Tag der Schlachtung zum möglichst einzigen negativen Erlebnis im Leben des Tieres wird.
Denn wenn Du genau dafür nicht sorgst, dann wird die Industrie weiter nur ihre Wege gehen. Und die kennen wir alle. Für dieses Industrie- und Fabrikfleisch versuchen Menschen wie Alex, Jochen und Heike den Verbraucher:innen eine echte Alternative zu bieten: Industriefleisch, so Alex, sollte nicht mehr das einzige Angebot in Supermarkt & Co sein. Der Firmenname „Artgerecht & glücklich“ ist daher auch nicht nur eine Beschreibung der Tierhaltung. Sondern soll zum Ausdruck bringen, dass Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren deutlich besser schmeckt. Alex hofft, und wir mit ihm, dass Verbraucher:innen dies irgendwann wie selbstverständlich auf ihrem Einkaufszettel berücksichtigen.
Ihr wollt Kontakt aufnehmen und mehr erfahren?
Kontakt zu Alex
Artgerecht & Glücklich
Alexander Schulte
Apothekerstraße 43
59755 Arnsberg
M. 0171 5394208
E. (auch Bestellung Produktliste) artugue@web.de
Kontakt zu Jochen und Heike Born
Naturhof Jochen Born
In der Wester
57319 Bad Berleburg-Wingeshausen
M. 0177 7468090
M. (für Anfrage Bauernhofpädagogik): 0175 8164716
E. naturhof@jochen-born.de
Aktuelles Programm für Schulen und Kindergärten
Mit diesen Betrieben arbeitet Alex eng zusammen
- Schickermooser – Natürliche Weidehaltung von Sören Spiekermann
- Mountain Meat – Bergfleisch von Mair Arthur
- Hof Vincke – Iberico Fleisch von Christian Vincke