Ein neues Konzept für artgerechtere Schweinehaltung
Das Schnitzel und das Schwein. Zwei Begriffe, die in unserer Sprache fast zum Synonym geworden sind. Doch den Menschen wird die Frage, wie ein Schwein vorher gelebt hat, immer wichtiger. Und Ideen aus dem Markt kommen langsam in den Ställen an.
Und es kommt Bewegung in den Schweinestall von Morgen. Über das Konzept „Aktivstall für Schweine“ berichteten wir bereits. Nun soll im Spannungsfeld zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit eine echte Alternative zur konventionellen Schweinemast auf den Markt kommen: der Offenstall für Mastschweine. Dahinter steht der Verein zur Förderung der Offenstallhaltung von Schweinen e.V. aus Osnabrück.
Auch eine Haltungsfrage: „Der Ringelschwanz ist integraler Teil des Schweines und muss deshalb dranbleiben!“
„Wir möchten einen Bereich zwischen der konventionellen und der Bio Schweinehaltung etablieren“, so heißt es auf der Website des Vereins. Gründungsmitglied und Agrarbiologe Rudolf Wiedmann bringt auf den Punkt, inwiefern man zu lange die Schweine an die Ställe und nicht die Ställe an die Schweine angepasst hat. Folge unter anderem waren Manipulationen wie die Kastration der Ringelschwänze. Der Fokus für mehr Schweinewohl liegt daher v.a. auf folgenden Punkten:
Bewegung und Beschäftigung als Grundbedürfnisse
Ausgiebige Futtersuche und gemeinsames Spielen gehören zu einer artgerechten Haltung von Schweinen. Was in konventionellen Ställen unmöglich ist, wird im Offenstall-Konzept klar vorgeschrieben.
Wichtig für das Schwein: Gemeinsames Ruhen
Genauso wichtig ist auch das gemeinsame Liegen der Tiere. Selbstverständlich auf Stroh gebettet, haben die Schweine im Offenstall-Konzept ausreichend Möglichkeit, sich mit hinzulegen und gemeinsam zu ruhen.
Schweine schätzen Sauberkeit & Hygiene
Im Volksmund drehen sich viele Schimpfwörter um das Wort Schwein und seiner Verbindung mit Dreck und Unordnung („Drecksschwein“, „Du bist vielleicht eine Sau!“). Dass „dreckige Schweine“ eine Folge der menschlichen Stallhaltung waren, wird weniger berücksichtigt.
Im Offenstall-Konzept wird dagegen das natürliche Bedürfnis der Schweine nach Sauberkeit erfüllt: Separate Kot- und Urinbereiche sowie eine Dusche zur Kühlung im Laufbereich.
Viel Platz
In einem konventionellen Mastplatz erhält ein Schwein einen gesetzlich vorgeschriebenen Platz von 0,75 m² pro Tier. In einem Offenstall hat jedes Tier mindestens 1,5 m² zur Verfügung. Für eine optimale Gruppenbildung inklusive natürlicher Herdenstruktur sorgt eine maximale Gruppengröße von 20 Tieren.
Ein fest an seiner Stelle verbleibender Ringelschwanz
Absolut keine Selbstverständlichkeit in der Schweinehaltung, im Gegenteil. Aufgrund des geringen Platzangebotes und des Stresses beißen und kauen sich die Artgenossen gegenseitig die Schwänzchen ab. Kein angeborenes Verhalten, sondern Folge der Industriehaltung. Im Offenstall weiss man dies mit schweinegerechter Futterzusammensetzung und –verabreichung, genügend Beschäftigungsmöglichkeiten mit Stroh, reichlich Platz und unterschiedlichen Klimazonen zu verhindern. Ein Kupieren der Ringelschwänze ist hier nicht erwünscht.
Ein unterschätztes (Haus-) Tier erhält Beachtung
Claudia Füßler hat sich 2012 in ihrem Beitrag in der ZEIT intensiv mit dem Borstentier auseinandergesetzt. Und war am Ende überzeugt: „Das Schwein weiß um sein Ich“. Abgesehen von ihrer Intelligenz, vermutet man ähnlich wie bei Elefanten, Delfinen und Primaten eine Form von Selbst-Bewusstsein. Abgesehen von ihrer Intelligenz, vermutet man ähnlich wie bei Elefanten, Delfinen und Primaten eine Form von Selbst-Bewusstsein.
Mythen und Klischees sind zäher als die Wahrheit, doch so langsam bewegt sich was. Nicht nur in den Ställen, auch in den Köpfen der Menschen. So hatte das Thünen-Institut in Braunschweig 2015 den Forschungsverbund Social Lab gestartet. Die Forscher wollen hier u.a. herausfinden, wie Verbraucher und Landwirte sich ein gutes, also artgerechtes Schweineleben vorstellen.
Hier findet Ihr den Abschlussbericht des Projektes
Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projektes gehört aber, dass die Verbraucher sich durchaus mehr Menschlichkeit in der Schweinehaltung wünschen. Insbesondere ihr Bedürfnis nach mehr Platz und Beschäftigung für die intelligenten Tiere wurde von den Probanden als zentral erachtet.
Das Schwein und der faire Deal
Im Deutschlandfunk widmete sich Gerhard Richter dem Spannungsfeld, in dem Verbraucher sich befinden: „Marktgerecht und glücklich?“, so lautet die Kernfrage zwischen „Billigem Schnitzel“ und „halbwegs artgerechtem Tierleben“. Die Verbraucher wollen – nach heutigen Statistiken und Studien, nämlich das eine, oder das andere nicht zu lassen.
Von den 60 Millionen Schweinen, die in Deutschland jedes Jahr geschlachtet werden, stammen nur etwa ein Prozent aus biologischer artgerechter Haltung. Aus der Tierethik stammt daher ein Begriff, der ggfs. viel an diesem Spannungsfeld wird ändern können: Der „faire Deal“. Inken Christoph-Schulz, Koordinatorin und Ansprechpartnerin des Social Lab-Projektes führt aus: „Wenn das Tier ein gutes Leben gehabt hat, dann kann ich es auch ohne schlechtes Gewissen verzehren.“
Dieser „faire Deal“ soll helfen, den Verbraucher moralisch-ethisch zu entlasten, eine Entwicklung voranzutreiben, in der nicht mehr allein die Preissensibilität entscheidet. Sondern das Thema „Fleischkonsum“ um die ethische Dimension eines „Lebens dahinter“ zu einer persönlichen Abwägung wird.
Das überdurchschnittliche Aufkommen einer Forderung nach „artgerechter Haltung“ bestätigt die Theorie in der Praxis. Immer mehr Menschen sind sensibilisiert für die Frage: „Wo kommt das Tier her?“ Nicht mehr regional bezogen, sondern auf die tatsächliche Haltung.
Offenstall, Aktivstall, gar kein Stall?
Schweinehaltung ist komplex. Der durchschnittliche Verbraucher mag sich das glücklich grunzende Schwein auf freier Wiese gerne denken. Doch dies ist für die allermeisten Landwirte wirtschaftlich schlicht nicht umsetzbar. Daher sind alle Ideen und Konzepte, die Eingang in die tatsächliche Schweinehaltungs-Praxis finden, begrüssenswert. Und selbst wenn es auch da noch Luft nach oben gibt – für mehr Außenklima und Erfüllung der Art angemessener Bedürfnisse sorgen Konzepte wie Aktivstall und Offenstall allemal.
Direkt zu den Marktideen für mehr Schweinewohl:
Verwandte Quellen und mehr zum Nachlesen:
- So fühlen sich die Schweine im Stall richtig wohl. Beitrag in der WELT.
- Das Schwein weiß um sein Ich. Beitrag in der ZEIT.
- Marktgerecht und glücklich. Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur
- Darum tun wir Schweinen unrecht. Beitrag von Quarks
- Thünen Institut Social Lab. Offizielle Website
- Was kostet ein Schnitzel wirklich? By Foodwatch