Schlachthöfe
Jeder, der mich kennt, weiss, wie sehr es mich damals beeinflusste: das Mal auf dem Schlachthof in Zeven, als er umgebaut wurde und so Blicke und Atmosphären freigelegte, die normalerweise von uns allen weit ferngehalten werden. Dicke Mauern, abgeschottete Tiertransporte, Verlagerungen logistischer Prozesse in die Nacht hinein: Der Prozess der Tötung und Schlachtung von Nutztieren ist nichts fürs Kundenauge.
Schlachthöfe und die damit verbundenen Prozesse und Strukturen sind schwer zu verknusen. Auch wir sprechen uns hier auf dem Weidefunk für einen achtsamen Fleischkonsum aus. Der aber eben vielfach ohne Schlachthöfe nicht möglich wäre. Doch ist Schlachthof und Schlachthof nicht das Gleiche: da gibt es die kleinen Schlachträume hinter einer Familienmetzgerei. Wer den Film „Die letzte Sau“ gesehen hat, weiss, dass hier Menschen am Werk sind, die Ehre und Respekt vor Tier und Handwerk walten lassen.
Dann gibt es kleinere Schlachthöfe, die mehr Durchsatz haben, aber dennoch auf feste Regeln gegenüber Mensch und Tier bedacht sind. Und es gibt diese monumentalen Schlachthöfe, großen Zentren, in denen in einer Masse getötet und geschlachtet wird, bei deren Durchsatzzahlen mir nur noch ein Wort einfällt: Industrialisierung. Die 100%-ige Wirtschaftlichkeit. Ausgestattet gleichfalls mit einem Maximum an Imagearbeit.
Und dann gibt es diese eine Entwicklung: Die Tötung und Schlachtung von Tieren, die vom Tier aus gedacht wird. Nicht mehr von der Wirtschaftlichkeit. Die Mobilschlachtung.
30 Jahre liegen zwischen zwei Schlachtungen
Der Tod von Tieren begleitet mich mein Leben lang. Wenn Du Tiere in Deinem Leben hast, hast Du die Verantwortung, etwa wann Du sie gehen lässt, wenn Krankheit sie quält – ohne Aussicht auf Genesung.
Mit dem Zeitpunkt jedoch, als ich wieder begann, Fleisch zu essen, brach eine andere Konfrontation mit dem Tod von Tieren an. Die frühere Inga hätte zynisch gesagt: „Ab jetzt lasse ich Tiere für mich umbringen, damit ich sie essen kann.“
Heute denke ich anders. Fast 30 Jahre sind seit meinem Ersterlebnis auf dem Schlachthof in Zeven vergangen. Und heute, am Montagmorgen des 26. Aprils 2021, stehe ich wieder bei einer Schlachtung: bei Reinhard auf dem Hof, neben mir ein junges Paar, Sascha und Sven, dass gleich ihren Bullen schlachten lassen wird.
Auf dem Hof leben. Und sterben
„Irgendwann sollte kein Tier mehr lebend den Bauernhof verlassen.“
Theo Bonkhoff
Sascha ist eine junge Frau, die nicht aus der Landwirtschaft stammt. Ihr Freund Sven schon. Zusammen bauen sie derzeit eine kleine Wagyu-Zucht in der Zollernalb-Region mit Direktvermarktung auf. Ein paar ihrer Tiere haben sie bei Reinhard hier im Münsterland stehen. Sechs Stunden Fahrt liegen hinter ihnen. Nun stehen wir vor der mobilen Schlachtanlage. Das Tier ist bereits in der Box, in der der Wagyu-Bulle gleich den finalen Schuss mit dem Bolzenschuss-Apparat erhalten wird.
Heute ist unser erstes Mal. Des jungen Paares und meines. Metzgerei Bonkhoff ist dazu mit Sack und Pack angereist: Die Metzgerfamilie aus Ascheberg hat sich mehr und mehr auf die Mobilschlachtung konzentriert (auch bei unserer Familie Holtermann). Theo Bonkhoff sagte schon vor zwei Jahren zu mir: „Inga, irgendwann sollte kein Tier mehr lebend den Bauernhof verlassen.“ Klaus, sein Sohn, setzt diese Vision heute mit um. Drei Mitarbeitende von Bonkhoff plus ein Veterinäramts-Mitarbeiter bilden das Team rund um die heute stattfindende mobile Schlachtung.
Vorbilder morgiger Fleischvermarktung
„Unser Bezug zum Fleisch hat sich in den letzten Jahren abartig geändert.“
Sascha Eckhardt
Auf der Fahrt zum Holtmann‘schen Hof wurde es für mich real: gleich wird ein Tier getötet, das pumperlgesund ist. Wahrscheinlich jetzt sogar noch auf der Weide steht. Die Erleichterung tritt mit einem Schlag ein, als ich Sascha und Sven das erste Mal begegne. Sie sind sehr angespannt, ich habe den Eindruck, dass wir alle drei gerade ähnliches fühlen.
Das junge Paar will nicht einfach nur Direktvermarktung von Wagyu-Fleisch und Fleischprodukten machen. Sie wollen den Wert zurück in die Fleischvermarktung bringen. „Unser Bezug zum Fleisch hat sich in den letzten abartig geändert!“ lacht Sascha. Bei ihr waren es v.a. die Fortbildungen, die sie zum Nachdenken gebracht haben: Zucht, Vermarktung, Schlachtung… Ihr wurden die Augen geöffnet, als sie erfuhr, was die industrielle Landwirtschaft heute wie selbstverständlich vorsieht. Von der Trennung der Kälber über die Haltung bis zum Tod: Nein, die beiden haben sich zu einer anderen Form der Landwirtschaft entschieden.
„Der Respekt vor dem Tier gehört schlicht ohne Kompromisse zu Tierhaltung und Fleischvermarktung.“ Sagt Sven in ruhigem Ton. Die Mobilschlachtung ist wesentlicher Bestandteil dieser Haltung zu den Tieren.
Die beiden ergänzen sich – fahren eine Linie, sind bereit, viel auf sich zu nehmen. Diese heutige Mobilschlachtung soll die erste von vielen werden.
Klar: Die beiden können das große Ganze nicht verändern. Aber hier, heute an diesem sonnigen Morgen, betreiben die Beiden für mich Vorbildarbeit: Obwohl sie in der Direktvermarktung noch nicht einmal etabliert sind, ihr Geschäft gerade aufbauen, gehen sie den konsequentesten aller Schritte: Die Verantwortungsübernahme nicht nur für das Leben ihrer Tiere. Sondern auch für ihren Tod.
Wie es sich anfühlt
Da stehen wir nun also. Sascha, Sven und ich sind die einzigen, die hier Zuschauer sind. Alle anderen wissen um ihre Handgriffe. Um Punkt 9 geht es los. Der schwarze Bulle steht ruhig – wirklich komplett ruhig – in seiner Box. Ein Mitarbeiter tritt an ihn heran – der Schuss ertönt und das Tier fällt bewusstlos zu Boden. Dann wird es mit einer Kette in den dahinterstehenden Anhänger gezogen, in dem das Tier den finalen Halsschnitt bekommen und ausbluten wird.
Ich bin verwirrt.
Denn ich fühle in Bezug auf das Tier nicht annährend das, was ich damals empfunden habe: Wut, Hass, Verzweiflung, Fassungs- und Hilflosigkeit. Meine Gedanken und mein Mitgefühl gehören in diesem Moment ausschließlich den Tieren, die gerade in diesem einen Moment ebenso getötet werden. Nach Monaten der Mast im Industriestall, langen Transporten und dem immer näherkommenden Gefühl, dass der Tod auf sie wartet. Bis er im Akkord real wird.
Die Tötung dieses 3-jährigen Bullen hingegen berührt mich … so natürlich. Es tut mir leid, dass er sterben muss. Wie mir jedes Lebewesen leid tut, das keine Wege mehr auf der Erde gehen kann. Aber es kommen keine Emotionen hoch, die in mir toben und sagen: „Nicht richtig! Tu was!“
Minuten ohne Angst
„Ich bin dankbar, dass es solche Menschen gibt.“
Sascha Eckhardt und Sven Schick
Die Gesichter und Körperhaltungen von Sascha und Sven beobachte ich schon eine Zeitlang: respektvoll, angestrengt und still, jeder für sich. Ich nähre mich ihnen an. Wie sie sich fühlen, möchte ich wissen. „Ich bin dankbar“ sagt Sascha einfach. „Dankbar, dass es Menschen gibt, die diese Art der Tötung ermöglichen. Ohne deren Fachwissen und Entwicklungswille wäre es nicht möglich.“ Sven nickt.
Zweifelsohne: Sie und Sven haben Respekt vor dem Wissen, das hinter einer solchen mobilen Anlage und ihrem Umgang steckt. Immer wieder blicken sie auf die vielen, schnellen Handgriffe der Mitarbeitenden. Vom ersten Anblick des Bullen in der Schlachtbox bis zum Abtransport seines toten Körpers sind keine 5 Minuten vergangen. Und er hatte nicht einmal eine Sekunde Zeit, Angst und Stress zu entwickeln.
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.
Gedankengepäck
Bereits um 10 Uhr fahre ich wieder zurück nach Münster. Die Arbeit wartet. Ich frage mich, wie wir es schaffen können: Wie wir es verdammt noch mal schaffen können, dass mehr Menschen dem Tod von Tieren näherkommen. Um dafür Verantwortung zu übernehmen! Wie es Sascha und Sven heute gemacht haben. In voller Konsequenz.
Erst, wenn wir alle mit offenen Augen und ohne Gefühlsverdrängungen zum Leben und Sterben der Tiere hinschauen können, werden wir auch fähig sein mitzubestimmen, was mit Tieren geschehen darf – und was auf keinen Fall mehr mit ihnen passieren darf.
Ich danke Reinhard und Familie Bonkhoff dafür, dass sie diese Form der Schlachtung technisch und infrastrukturell ermöglichen. Und ich danke Sascha und Sven dafür, dass sie allen Risiken, Unkenrufen und anderen Stimmen aus dem alten „Das haben wir aber immer schon so gemacht“ zum Trotz konsequent und mutig die Stirn bieten!
Anmerkung
Ich habe in diesem Beitrag bewusst wenige Bilder eingesetzt. Das liegt nicht daran, dass ich grausame Aufnahmen nicht zeigen möchte. Es gab keine grausamen Aufnahmen. Wer interessiert ist, möge sich bei mir melden. Gerne zeige ich die vor Ort gemachten Bilder. Ich möchte in einem öffentlichen Beitrag keine Aufnahmen vom toten Tier zeigen, weil es meine persönliche Form des Respekts vor dem Tier ist.
Sorry, aber ich kann mit Deinem letzten Satz so gar nichts anfangen!?
Du zeigst ja nicht einmal Bilder vom (noch) lebendem Bulle!? Das ist für mich so ein bißchen wie „Bärchenwurst“ – Gib der Wurst einen lustigen Namen oder ein grinsendes Gesicht und kein Kind wird Fragen stellen.
War halt doch einmal ein Lebewesen, was vermutlich gerne weitergelebt hätte…
Wie der Bulle von Sascha und Sven.
DER bekommt in Deinem Artikel leider kein Gesicht.
Stattdessen betretene Gesichter seitens der Besitzer.
Ja, es ist nicht schön über Leben und Tod entscheiden zu müssen.
Müssen?? Klar, wenn jemand Geld mit Tieren machen möchte wie die zwei, geht kein Weg an der Schlachtung vorbei.
Was bringt eigentlich ein derart produziertes Kilo Wagyu Rind???
>>Die Tötung dieses 3-jährigen Bullen hingegen berührt mich … so natürlich. Es tut mir leid, dass er sterben muss. Wie mir jedes Lebewesen leid tut, das keine Wege mehr auf der Erde gehen kann. Aber es kommen keine Emotionen hoch, die in mir toben und sagen: „Nicht richtig! Tu was!“<<
3 Jahre durfte er nur leben.
Wie alt Wagyu Rinder wohl werden, wenn man sie leben lässt bis zu ihrem natürlichen Tod?
Mitleid rettet keine Schlachttiere. Nicht die, die "ein schönes Leben vorher" hatten oder gar die, die in den Genuß der – vielleicht sogar optimalen – mobilen Tötung kommen und erst recht nicht die, denen beides vergönnt ist: Das schöne Leben, der "schöne" Tod.
Der Mensch bestimmt über das Leben der Tiere, nur weil er sie essen möchte oder/und an ihnen verdienen will.
Mich macht das einfach nur traurig.
Emotionen, die in mir toben zum Thema Schlachtung kommen bei mir leider gerade auch keine mehr hoch, aber das hat andere Gründe.
Aber – um es mit Deinen Worten zu sagen "Tu was, nicht richtig!" – dieser Satz wird immer in in mir sein, wenn es darum geht, Tiere zu töten, des Profits wegen.
Was spielt es denn da noch für eine Rolle, wie das Ganze vollzogen wird?
Es kann nicht richtig sein… :o(
Tiere einfach ihr Leben Leben lassen – DAS ist Respekt und Ehrfurcht vor dem Lebewesen.
Trotzdem mag ich Deine Seite! ;o))
Liebe Sonja,
wir sind hier (leider) mal wieder an einem Punkt, an dem ich immer und immer wieder lande: Um wen geht es hier gerade? Um uns beide, wie wir es uns für die Tiere wünschen würden? Oder um die große Masse Mensch, die derzeit noch einem Fleischkonsum fröhnt, der ihresgleichen sucht? Ich kann viele deiner Punkte nachvollziehen – nachfühlen – aber ich frage dich: wie sieht dein Lösungsweg jetzt aus? Und zwar nicht der Lösungsweg der sagt: Werdet alle vegan (vegetarisch leben bringt einen Tropfen auf den heißen Stein, das wirst du wissen)! Wie, Sonja, finden wir einen Weg, der erst einmal nicht nur signifikante LEBENSbedingungen für die Tiere schafft, sondern – NOCH VIEL WICHTIGER – zu einem Umdenken und MITFÜHLEN der Menschen führt?
Wenn es über Elendsvideos allein klappen würde, wären wir alle an einem ganz anderen Punkt der Menschheit, unserer Kultur. Ich suche verzweifelt nach Wegen, wo die Menschen endlich wieder hinschauen können und wollen, wo sie sich mit dem konfrontieren, was sie sich selbst oder die Industrie ihnen abgewöhnt hat: den Kontakt zu den Tieren, die für Lebensmittel sterben müssen.
Ich respektiere zutiefst deine Meinung. Und ich danke Dir auch, dass Du sie hier offen äußerst. Aber ich würde von Dir aufgrund einiger von Dir aufgebrachter Punkte eben auch im Gegenzug erfahren wollen, wie du gedenkst, die Menschen (in Masse!) so zu beeinflussen, dass wir in einigen Jahren sagen können. JA – es hat sich signifikant was bewegt und der „Nutz“-Tierhaltung. Dieses Wegblenden des Elends, dieses einfach weiter einkaufen als wäre nichts, DAS müssen wir verändern.
Versuch bitte, die Kette von der richtigen Richtung her zu denken: Tiere werden nicht getötet, weil damit per se Geld verdient wird. Am Anfang der Kette steht: Menschen wollen Fleisch essen! Und dies evoziert dann ökonomische Prozesse, die daraus resultieren. Die Ökonomie pflanzt dich nur da an, wo es was zu verdienen gibt. Wollen Menschen kein Fleisch mehr essen, hat sich das Thema erledigt. Und da wären wir wieder: welchen Weg siehst du hier ausser den radikal Veganen? sollten alle ab morgen kein Fleisch mehr essen: SUPER! ich mach den Weidefunk dicht und bin damit glücklich. Aber ich bezweifle, dass dies passieren wird. dieses „Werdet alle vegan!“ habe ich über 20 Jahre propagiert! Und ich schätze jeden, der heute beginnt, vegan zu leben (bitte v.a. bei Milch endlich aufwacht). Aber ich kämpfe eben auch für Wege, die klare Alternativen bieten und endlich, endlich die Identität der Tiere wieder in den Vordergrund bringen.
Ich hoffe, Du verstehst den Unterschied auf den ich dringend hinaus möchte: Was fühlen und halten WIR beide für richtig, was geht nur unser Leben an. Und an welcher Stelle ist es unsere verdammte Verantwortung, Lösungen und Wege zu bauen/finden, die eben auch andere Menschen, die nicht vegan leben können oder wollen, gehen.
Was das Zeigen der Bilder anbelangt, bitte ich Dich wiederum um das Respektieren meiner Haltung: Ich zeige auch keine Bilder von meiner toten Stute, als sie damals wegen schwerer Erkrankung eingeschläfert werden musste. Ich will keine toten Tiere zeigen. Das ist meine persönliche Haltung den Tieren gegenüber. Ich frage dich: was wäre denn gewonnen, wenn ich das tote Tier, den Bullen, gezeigt hätte? Was wäre bestenfalls bei den LeserInnen ausgelöst wurden? Denn ich bin durchaus bei dir: hätte es eine positive Wirkung, also verstünden dadurch Menschen etwas mehr, was sie in Bezug auf die Tötung von Tieren verstehen müssten, hätte ich es gemacht. über meine persönliche Haltung hinweg. Aber ich sehe nicht, was Menschen dadurch besser „lernen“ oder „verstehen“?
Du schreibst: „Tiere einfach leben lassen“. In Respekt und Ehrfurcht vor dem Lebewesen (in memoriam Albert Schweitzer). in meinem privaten, persönlichen Umfeld tue ich das für Tiere, was in meinem Wirkungsradius möglich ist, und versuche, möglichst viele Menschen hier mitzunehmen. Aber „einfach leben lassen“, das sieht unsere Kultur nicht vor. Und wer bin ich, dass ich eine Kultur mal eben so „verändere“? Wenn du dich mit kulturellen Entwicklungen beschäftigt, wirst du sehen, dass diese komplexer Art sind. Wir brauchen mehr als nur einen Entwicklungsstrang, um unser Form der (Ess-) Kultur zu verändern. Dafür kämpfe ich.
Liebe Grüße, Inga