Der Job der Werbeindustrie
Das ist echt nicht schön. Da macht man sich soviel Mühe, einen eigenen Kaffeekapsel-Markt zu begründen, und dann stellt sich heraus, dass diese Aluminium-Kapseln dem gesellschaftlichen Müll-Verständnis entgegenlaufen.
„Was hilft gegen Müll-sensible Kunden?“ fragt dann auch die Werbefachzeitschrift „Werben und Verkaufen“ am 30. September 2019 die Marketingchefin von Nespresso, Evelyne Wrobbel, in einem Interview. Nun, das ist häufig der tägliche Job von Werbung: Nach dem Munde der Kunden reden. Wenn der Kunde was will, gib es ihm. Und wenn der keinen Müll mehr haben will, muss man dem was Anderes geben.
Mal ungeachtet, was gegen diese müll-sensiblen Kunden so alles hilft und getan werden kann, sollten wir als Verbraucher:innen uns im Gegenzug fragen: Warum sich das überhaupt noch weiter gefallen lassen?
Der durchschnittliche Werbesprachschatz
Wir alle haben einen durchschnittlichen Wortschatz von 3000 bis 5000 Wörtern. Aus diesem Topf bedienen sich Unternehmen seit Jahrzehnten, um uns ihre Werbebotschaften schmackhaft zu machen. Bereits in den 90ern zeigte die US-amerikanische Journalistin Naomi Klein in einer beeindruckenden Recherche (sorgsam verpackt in ihrem grandiosen Buch „No Logo!„) eindrücklich auf, wie unsere öffentlichen Räume mit Werbung und Werbeversprechen zuplakatiert werden. Das eine ist die Quantität: Können wir noch einen Schritt machen ohne Werbeversprechen im Nacken?
Das Andere ist aber die Qualität: Denn vieles von dem, was versprochen wird, wird nicht gehalten. Ist das ok?
Irgendwie haben wir uns ja scheinbar daran gewöhnt, dass Versprechen aus der Werbung nicht gehalten werden. Oder rennst Du tatsächlich mit Deinem damals erhaltenen Vertriebsflyer von der Deutschen Bank zurück zur örtlichen Filiale und weist die Dame am Schalter darauf hin, dass ihr Unternehmen höchste Servicezufriedenheit versprochen hat und dieses Versprechen nun so gar nicht zum Wiedereinmal-Nichtfunktionieren Deines Online Zugangs passt? Ich nicht (wobei ich vor kurzem fast deswegen hingerannt wäre).
Werbemund tut nicht immer Wahrheit kund
In der Werbung wird schon sehr viel Kokolores versprochen. Hochwertwörter, Wohlfühlwörter, Superlative: Werbesprache ist mit Emotionen zum Bersten vollgepackt.
Versteht mich nicht falsch: Werbung kann lustig und informativ sein, Werbung gehört zu unserer Wirtschaft wie Google ins Internet. Doch empfindlich wird es dort, wo Produkte so in Worte und andere Zeichen verpackt werden, dass wir längst nicht mehr durchschauen können: Kaufen wir noch das gewünschte Produkt oder nur die Versprechen, die draufstehen? In den digitalen Räumen können wir uns theoretisch über Adblocker & Co. zur Wehr setzen. Aber im heimischen Supermarkt? Kauft man da wirklich das, was man versprochen bekommt?
Kurz: Welchen Müll nehmen wir in Kauf?
Dass so eine Kokosnuss aus Thailand höchsten Bio-Standards wohl eher nicht standhält, gehört noch zu den offensichtlichen Märchen aus dem Supermarkt (mehr Hintergrundwissen kommt von Sonja Wlcek und hier erfahrt Ihr, wo es gute Kokosnüsse gibt.). Anders verhält es sich bei Versprechen, die sich auf Werbeaussagen in der Tierhaltung beziehen.
Da wird aus Intensivtierhaltung auch schon mal „Wir betreuen unsere Tiere intensiv“. Mit einer grünen Wiese, dem goldenen Stroh im Stall und den glücklich grasenden Kühen assoziieren wir automatisch diese Haltung und dieses Wohlbefinden der Tiere. Artgerecht, Tierwohl, Nachhaltigkeit: Rechtlich alle keine geschützten Begriffe. Daher können Kommunikations- und Werbeagenturen fröhlich darauf zugreifen. Und wir glauben es allzu leicht.
Zeit für mehr Striptease in der Lebensmittelwerbung für Fleisch, Milch & Co.
Food Werbung ist eigentlich erst mal nichts anderes als Werbung für Lebensmittel. Doch Werbung ist leider ein ganz schlechter Wissensratgeber für Lebensmittel, gerade wenn es um Ursprungsfragen geht. Denn der Job von Werbung ist es, uns zu steuern. Sollten die Verbraucher:innen dann auch mal über eine Jobwechsel nachdenken, so als Teilzeit- oder wenigstens Nebenjob?
Die kalifornischen Unternehmer Levine, Locke, Searls & Weinberger proklamierten einst „Märkte sind Gespräche“ (tolles Buch: „Cluetrain Manifesto„!). Verbraucher:innen sind nach ihren Worten kein Galerie-Publikum, das die Werbebotschaften passiv konsumiert. An die Unternehmen gerichtet schreiben sie: „Wir sind keine Zuschauer oder Empfänger oder Endverbraucher oder Konsumenten. Wir sind Menschen – und unser Einfluß entzieht sich eurem Zugriff. Kommt damit klar!“ Denn die Menschen werden antworten, sich ihre eigenen Meinungen und eigene Gesprächsräume bilden. Das Cluetrain Manifesto spricht damit von der Stärke der gesellschaftlichen Sprache, von der Macht eines Miteinander Sprechens.
Ich finde diesen Ansatz gut: Sollten wir uns nicht gegenseitig ein wenig mehr Aufklärung bieten? Viele von uns wissen, dass Werbung in unzähligen Bereichen nur noch schöne Verpackung ist. Dies ist in manchen Bereichen auch nicht schlimm. Im Bereich der Lebensmittelwerbung überschreitet es empfindliche Grenzen, wenn unsere Gesundheit, die Umwelt und das Tierwohl versprochen, aber doch nur heiße Luft drin ist. Ich erlebe es in meinem Umfeld immer häufiger, dass wir uns untereinander austauschen: Was kannst Du empfehlen? Bei welchem Produkt weißt Du sicher, dass drin ist, was versprochen wird? Ein eigener kleiner Gesprächsmarkt, dem ich höchstes Vertrauen schenke.