Landwirtin als Job; Arbeit mit Nutztier als Beruf
Claudia melkt täglich auf einem Demeter-Hof. Hier füttert sie auch die Kühe und Kälber, die in ammen- und muttergebundener Kälberaufzucht leben dürfen. Claudia versorgt auch die Schweine. Wenn es soweit ist, bringt sie sie in einem Zweierhänger zum Schlachter. Begleitet von ein paar Weintrauben, die das letzte sein werden, was sie in ihrem Leben essen.
Aber Claudia ist keine Landwirtin. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Reitlehrerin sowie als Coach in der tiergestützten Therapie („Nelli Prinzip“). Jeanette und ich wollten sie kennenlernen. Und führen ausnahmsweise nicht auf einen Bauernhof. Sondern zu ihrem Hof in der Nähe von Oldenburg, wo sie u.a. einige Pferde und ihre besten Therapie-Mitarbeitenden beherbergt: zwei stattliche Braunvieh-Ochsen.
Therapie-Ochsen in Niedersachsen
„Ich akzeptiere, dass Tiere für die Lebensmittelproduktion gehalten und getötet werden. Ich versuche mit meiner Arbeit auf dem Demeter-Hof dafür zu sorgen, dass es den Tieren bis zu ihrem Tod gut geht.“
Claudia Mosebach
Claudia (1966) arbeitet in Nebenanstellung auf dem Demeter-Betrieb in ihrem Nachbarort. Pferde haben sie ihr Leben lang schon begleitet, aber „Nutz-“Tiere traten erst später in ihr Bewusstsein.
Mit Sebastian, ihrem Chef, witzelte sie damals herum: Ach, irgendwie hätte ich mal Lust, ein Rind auszubilden. Wenn du auf einem Bauernhof arbeitest, eng an den Tieren dran, merkst du schnell: Nicht nur ein Hund oder eine Katze hat einen individuellen Charakter, nein, auch jede Kuh, jedes Kalb. Eigentlich eine banale Beobachtung. Aber hast du darüber wirklich mal nachgedacht?
Claudia ließ diese Beobachtung nicht mehr los. Und holte sich vor 2017 zwei Ochsen, Mio und Deus, die heute mit einem Stockmaß von 1.70 m die zwei besten Therapiemitarbeiter der Coaching- und Tierkommunikationstrainierin sind.
Tiergestützte Therapie
Bereits 1977 schlossen sich in den USA Organisationen, Wissenschaftler, Tiertrainer und Psychologen, unter dem Verband „Delta Society“ zusammen, um die tiergestützte Therapie einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu definierte die Delta Society erstmals Standards und Richtlinien für den Einsatz von Tieren in der Therapie.
Doch tiergestützte Therapie ist heute noch nicht auf dem Stand, dass sie Dir von Deinem Hausarzt verordnet würde. Vielmehr zieht dieser Therapieansatz Menschen an, die schon vieles ausprobiert haben, und tief verzweifelt sind. Die aber vor allem schlecht einen Zugang zu sich selbst finden, wie es ja häufig bei einigen psychologischen Erkrankungen der Fall ist.
Denn Tiere können durch ihre Art der (nonverbalen) Kommunikation erstaunliche Zugänge zu einem Menschen legen. Ich persönlich kann ein Lied davon singen. Schon damals war ich fasziniert davon, wie Pferde mit psychisch Kranken sowie körperlich stark angeschlagenen Menschen umgehen. Sie öffnen sich diesen Menschen gegenüber, passen auf eine bestimmte Art auf diesen Menschen auf. Kommt dagegen ein handelsübliches Reiterlein daher, schaltet dasselbe, eben noch interaktionsstarke Pferd nicht selten ab. Aber das ist ein anderes Thema.
Ohne Worte helfen
„Von Rindern habe ich so viel gelernt. Echte Ruhe zum Beispiel.“
Claudia Mosebach
Mio und Deus sind imposant. Auch wenn wir schon viele Höfe besucht und neben unzähligen Rindern gestanden haben – solche Exemplare haben Jeanette und ich noch nicht kennengelernt.
So imposant die Größe, so innig die Ruhe. Es stimmt: Diese beiden Ochsen haben eine direkte Wirkung. In einem üblichen Arzt-Patienten-Gespräch kommt es zu einem zwischenmenschlichem Austausch. In Gegenwart des fast eine Tonne schweren Tieres bist Du jedoch erst einmal auf Dich selbst zurückgeworfen. Bekommst aber etwas zurück: Tiere öffnen Dich. Mit dem Auswechseln vieler Worte hat das wenig zu tun, es ist eher das Gegenteil: das Einlassen auf ein vollkommen neues Kommunikationssystem.
Claudia ist da eine erfahrene Trainerin. Als Pferdetrainerin arbeitete sie damals u.a. mit Veronika Ferres oder Thomas Gottschalk bei Filmdrehs zusammen. Heute hängt ihr Herz aber v.a. am therapeutischen Arbeiten. Sie möchte Brücken bauen vom Menschen zu sich selbst. Aber auch zwischen Mensch und „Nutz“Tier.
Die Brückenbauerin
„Wo ist denn der Unterschied zwischen Pferde- und Rindfleisch? Für mich gibt es da keinen.“
Claudia Mosebach
Neben der therapeutischen Wirkung auf Claudias PatientInnen frage ich mich, was die Arbeit mit Ochsen auch mit einer Gesellschaft machen kann. Schon lange leben wir mit der Doppelmoral „das Eine streicheln wir“, „das Andere essen wir“. Durchaus dürfen wir gesellschaftlich zu dem Schluss kommen: „Ja, diese Teilung ist ok.“
Dennoch wäre es wünschenswert, den Blick zu weiten. Exakt das ist es, was Claudia macht: Sie setzt Nutztiere in einen Kontext, wo Menschen einen anderen Bezug zu diesen Tieren erfahren dürfen. Einem Bezug, den bislang z. B. Hunden oder Pferden vorbehalten waren. Diese – sachlich gesprochen – Nutzen-Erweiterung schließt nicht aus, dass wir Rinder dennoch weiter auch zur Fleischgewinnung halten:
„Wir müssen nicht alle vegan leben,“ sagt die selbst vegan lebende Claudia. „Wir müssen aber dringend lernen, bewusst zu leben und zu essen.“ Claudia bringt es für sich auf den Punkt: „Wo ist denn der Unterschied zwischen Pferde- und Rindfleisch? Für mich gibt es da keinen.“ Auch wenn diese Aussage den einen oder anderen treffen mag, so stimmt es im Kern doch. Nur zu der einen Tierart haben wir im Laufe unserer Kulturgeschichte eine Beziehung aufgebaut, zu der anderen haben die meisten von uns eine Beziehung gar nicht erst entstehen lassen bzw. künstlich kappen lassen.
Etwa, indem ein Großteil der Bevölkerung dank jahrelanger Werbebeeinflussung bei dem Wort „Schwein“ eher an Schnitzel, beim Wort „Rind“ eher an „Steak“ denkt. Als an Tiere, mit denen Du genauso eine Beziehung eingehen kannst.
Wie wir heute, auf unserem Spaziergang mit Mio und Deus. Danke Dir, Claudia, für dieses Erlebnis. Auf dass Du noch vielen Menschen einen Zugang offerieren kannst.